„Vor ihren Augen wurde er verwandelt.“

 

Gottesbegriff

 

 

Gott liebt wie ein Smaragd grün ist.

 

Gott liebt? Wer ist eigentlich gemeint, wenn jemand sagt, Gott tut dies oder das oder ist so oder doch ganz anders? Was verbirgt sich hinter diesem Namen, diesem Wort Gott? Kann man auf diese Frage überhaupt eine Antwort finden? Sollten wir nicht besser, wie manche meinen, auf diesen Namen „Gott“  verzichten, weil er in zwischen durch zu häufigen  Gebrauch in allen Lebenslagen inhaltslos geworden ist?

 

Wir  haben oder hatten irgendwelche  bewussten oder unbewussten Vorstellungen davon , was mit Gott gemeint sein könnte. Die Vorstellungen sind geprägt durch Kultur, Erziehung,  bildliche Darstellungen und in der Regel auch geprägt durch die Welt, die man kennt und durch Idealisierungen, wie die folgende kleine Geschichte so schön zeigt:

 

Ein Heiliger erhielt einst die Gabe, die Sprache der Ameisen sprechen zu können. Er wandte sich an eine, die genügend belesen schien und fragte: „ Wem ähnelt der Allmächtige? Gleicht er irgendwie einer Ameise?“

Sagte die Gelehrte: „ Der Allmächtige? Bestimmt nicht! Wir Ameisen, müsst ihr wissen, haben nur einen Stachel. Aber der Allmächtige hat zwei!“

 

Mögliche Fortsetzung der Geschichte:

Auf die Frage, wie es im Himmel aussehe, antwortete die Ameisengelehrte feierlich: „Dort werden wir sein wie Er, jeder wird zwei Stachel haben, nur kleinere.“

 

Zwischen Vertretern theologischer Schulen ist eine erbitterte Auseinandersetzung darüber im Gange,  wo genau der zweite Stachel im himmlischen Körper der Ameise sich befinden wird. ( de Mello, Warum der Vogel S. 14)

 

Karl Rahner, der bedeutende Theologe, von dem der viel zitierte Satz stammt: „Der Christ der Zukunft wird einer sein, der etwas erfahren hat, wird ein Mystiker sein oder nicht mehr sein,“ hat auch einmal gesagt: „Gott sei Dank gibt es das nicht, was sich 90% der Bevölkerung unter Gott vorstellen.“[1]

 

Sollte man also auf dieses Wort Gott ganz verzichten oder es wie in der Geschichte von Böll über Dr. Murkes gesammeltes Schweigen ersetzen durch „jenes höhere Wesen, das wir verehren“? Sollten wir uns in Zukunft eher beim „Universum“ bedanken?  Willigis Jäger hat ein Buch geschrieben mit dem Titel: „Jenseits von Gott.“, aber obwohl der Titel auf ein „Jenseits von“ abzielt, benutzt er doch das Wort Gott. Es scheint also wichtig zu bleiben.

 

Karl Rahner, den ich eben zitiert habe mit seiner Behauptung: „Gott sei Dank gibt es das nicht, was sich 90% der Bevölkerung unter Gott vorstellen,“ hat gleichzeitig auch eine Meditation über das Wort Gott geschrieben.

Er betont den Unterschied des Wortes Gott z.B. zum Wort Baum oder Tisch. Der Baum oder der Tisch sind der sinnlichen Erfahrungswelt direkt zugänglich auch ohne das Wort. Ich kann sie sehen und fühlen und berühren, auch wenn ich kein Wort für sie habe.

Das Wort Gott  dagegen, so meint er, verweise auf eine Wirklichkeit, die in der Regel nicht direkt zugänglich sei und manchmal sei das Wort  Gott überhaupt erst der Ausgangspunkt für die Gottesfrage. Gott – was soll das denn sein?

Sein zweiter Punkt ist, dass das Wort Gott an sich nichts über sich selbst aussagt, im Gegensatz  z.B. zum Wort Vater etc. Es gibt keine Bedeutung, die wiederum dem Wort Gott zugrunde liegt. Und er fragt:

Was soll denn dieses Wort überhaupt sagen?, doch offenbar dem Gemeinten angemessen – gleichgültig, ob das Wort schon ursprünglich so „blind“ gewesen sein mag oder nicht. Ob seine Geschichte von einer anderen Gestalt des Wortes ausging, das mag also dahingestellt sein, jedenfalls spiegelt die jetzige Gestalt des Wortes das wider, was mit dem Wort gemeint ist: der Unsagbare, der Namenlose, der nicht in die benannte Welt als ein Moment an ihr einrückt; das Schweigende, das immer da ist und doch immer übersehen, überhört und, weil es alles im Ganzen und Einen sagt, als Sinnloses übergangen werden kann, das, was eigentlich kein Wort mehr hat, weil jedes Wort nur innerhalb eines Feldes von „Wörtern“ Grenze, Eigenklang und so verständlichen Sinn bekommt. So ist das blind gewordene, d.h. von sich selbst her an keine bestimmte unserer Einzelerfahrungen mehr appellierende Wort „Gott“ doch gerade in der richtigen Verfassung, dass es uns von Gott reden kann; reden kann, indem es das letzte Wort vor dem Verstummen ist, in welchem wir es durch das Verschwinden alles benennbaren Einzelnen mit dem einen gründenden Ganzen zu tun haben.( S.22- 23)

Und er behauptet:

Es ist die Öffnung in das unbegreifliche Geheimnis. Es überanstrengt uns, es mag uns gereizt machen ob der Ruhestörung in einem Dasein, das den Frieden des Übersichtlichen, Klaren, Geplanten haben will. ( S. 35)

 

Er sieht das Wort Gott also als einen Platzhalter und Türöffner. Dabei hilft es wenig das Wort zu zerpflücken, auseinanderzureißen mit dem Ergebnis: Ich habe mir das Wort genau angeguckt – es besteht nur aus Buchstaben.

 

Der Autor der Wolke des Nichtwissens gibt seinem Schüler das Wort God nicht zum Nachdenken und zum Analysieren sondern zum meditieren. Er soll innerlich immer wieder dieses Wort wiederholen als ein inneres Gebet, bei dem sich durch dieses Tun die Wirklichkeit erschließen wird, für die es steht. Die Sufis nenne dieses Wiederholen: Gottesgedenken

 

Simone Weil sagte einmal:

Warum also sollte ich mir Sorgen machen?

Es ist nicht meine Angelegenheit, an mich zu denken.

Meine Angelegenheit ist es, an Gott zu denken.

Es ist Gottes Sache, an mich zu denken. ( Simone Weil)[2]          

 

Und bei Dag Hammarskjöld, mit dem wir uns in Bad Münstereifel näher beschäftigen werden, schrieb in sein Tagebuch:

 

Gott stirbt nicht an dem Tag, an dem wir nicht länger an eine persönliche Gottheit glauben, aber wir sterben an dem Tag, an dem das Leben für uns nicht länger von dem stets wiedergeschenkten Glanz des Wunders durchstrahlt wird, von Lichtquellen jenseits der Vernunft. (Dag Hammarskjöld (37)[3]

 

Manchmal geschieht dann etwas wie in dieser Erfahrung, von der jemand berichtet:                                                                                                                                      

Ich glaube nicht, dass ich Atheist bin. Ich will ihnen ein Erlebnis erzählen. Ich war geschätzt neunzehn Jahre alt, als ich einmal mit der Bahn von Olten nach Luzern fuhr. Es war  Nachmittag, gewittriges Licht mit wandernden Schatten, Sonne und Schatten auf den Feldern. Ich war in dem Wagen, zog das Fenster hinunter und staunte einfach in diese Landschaft hinein. Ich war vollkommen überwältigt. Ich hätte in Jubel ausbrechen können. Ich weinte, ich hatte den Eindruck: Das ist Gott. Das ist das Lebendige und das, was sein müsste. Es war ein Bild des Friedens und der Harmonie von allem mit allem. Ich hatte den Eindruck, ich bin Teil davon, ich spürte die Regelkreise in ihrer unendlichen Vielfalt in mir. Es war ein mystisches, eine Art pantheistisches Grunderlebnis, also das Erlebnis Gott in der Natur. Wenn ich auf der theoretischen Ebene nach Religion und nach Gott gefragt werde, dann taucht dieses Erlebnis als unvergesslich in mir auf. Das hat mich daran gehindert, intellektuell bis an jenen Punkt zu kommen, an dem von Gott nichts mehr übrig bleibt. Die Mystiker haben eine solche Erfahrung des Göttlichen wohl das „Fünklein“ genannt. (Schweizer Schriftsteller Ott F. Walter ( 1928-1994) ( Sölle S. 132)

 

Solche Berichte sind wunderbar, bergen aber auch eine Gefahr oder vielleicht sogar mehrere.

Es könnte nämlich sein, dass jemand auf dem Weg der Kontemplation jetzt meint, genau so eine Erfahrung müsse sich bei ihm einstellen und er oder sie verwendet alle Energie darauf, sie zu erreichen oder gar zu erzeugen. Ein wunderbarer Egotrip, der unweigerlich in die Irre führt und natürlich zu großer Illusionsproduktion oder Enttäuschung.

Es könnte auch sein, dass jemand, der begonnen hat, seine kindliche Vorstellung von Gott als z.B. eine Stimme aus dem Off oder als eine Art Elternfigur, die aufpasst ob man alles richtig macht, hinter sich zu lassen und sie jetzt durch eine neue Vorstellung ersetzt. Gott ist Frieden , Liebe, Licht – und zwar Liebe und Licht, so wie ich es mir als Mensch vorstelle.

 

Eine ganz wichtige Erfahrung, die viele bei der Meditation machen, ist: Sie glauben, mit der Kontemplation haben sie genau das Richtige gefunden, den direkten Weg zu Gott, zu sich selbst und zu ihrem Entsetzten ist das, was sie erleben, Unruhe, Erschöpfung, ja Verwirrung. Vielleicht geben sie auf, aber genau dort, im Verweilen bei der Verwirrung,  hat das Lassen der Vorstellungen eine Chance. Genau hier ist der Punkt der Übung. Hier zu verweilen heißt beten. Hier kann sich die begrenzte Sichtweise wandeln.

Das Thomasevangelium formuliert das so:

Jesus sprach: Nicht soll aufhören der, welcher sucht, zu suchen, bis er findet, und wenn er findet, wird er verwirrt sein, und wenn er verwirrt ist, wird er sich wundern und wird herrschen über das All. ( Logion2)

Hier haben wir genau die Stationen des Weges angesprochen: suchen, finden, verwirrt sein, sich wundern/ staunen, herrschen über das All. Herrschen über das All steht für das was Juliana von Norwich erfuhr als

Alles ist gut.

Jeder Tag ein guter Tag – sagt ein Zen Spruch.

 

Wenn Simone Weil sagt:

Gott liebt nicht wie ich liebe, sondern wie ein Smaragd grün ist,

dann meint sie genau diese veränderte Weltsicht.

 

Machen wir uns also wieder auf in das Land jenseits der Bilder und Worte, so wie Tauler formuliert:

Der Mensch lasse die Bilder der Dinge

ganz und gar fahren

und mache und halte seinen Tempel leer.

Denn wäre der Tempel entleert,

und wären die Fantasien, die den Tempel besetzt halten, draußen,

so könntest du ein Gotteshaus werden,

und nicht eher, was du auch tust.

Und so hättest du den Frieden seines Herzens und Freude,

und dich störte nichts mehr von dem,

was dich jetzt ständig stört,

dich bedrückt und dich leiden lässt.

 

 

Gertrud Kieserg


Vortrag am 15. März 2014 in Siegburg

 

 



[1] Zit. In Jenseits von Gott, Vorwort

[2] Zit. In Sölle,  S. 262

[3] Zit. in Sölle S. 282