April

 

„Ich gehe hin, um ihn aufzuwecken“ (Joh 11)

 

Gott liebt wie ein Smaragd grün ist.

 

Wenn Simone Weil in ihr Tagebuch schreibt: Gott liebt nicht wie ich liebe sondern wie ein Smaragd grün ist, dann ist das nicht einfach nur eine Behauptung, sondern es ist ein Zeugnis dafür, dass sie Erfahrung von verschiedenen Bewusstseinsebenen hat. Hier der Ebene des Ich, die bestimmt ist von Haben und Nichthaben, Zuneigung und Abneigung und der Ebene, die jenseits dieser Einteilungen und Kategorien ist, die sie übersteigt und sie doch umfasst.

 

Man könnte sagen, dass sich ihr diese zweite Ebene erschlossen hat oder dass sie  in sie hineingestorben ist. Denn sie hat zu einem Erfahrungsweg ja gesagt, der auch ein Wandlungsweg grundsätzlicher Art ist.

Sie tat es als Einzelne – zwar im Kontakt mit der Kirche, aber doch außerhalb.

 

Von Anfang an gehen aus dem Christusimpuls zwei große Ausformungen der christlichen Religion hervor, die beide wichtig sind. Das Eine ist die Entwicklung zur Großkirche, in der Normen, Regeln, Dogmen, Organisation der Gemeinschaft und Glaubensverkündigung, gemeinsame Gottesdienste eine Rolle spielen auch Vorstellungen von Rechtgläubigkeit und das Andere ist der Erfahrungsweg des Einzelnen, der innere Weg, der Weg der Mönche und Mystiker. Der Einzelne soll sich aufwecken lassen und in neuem Bewusstsein, in umfassender Liebe leben, Liebe sein, ein Segen sein.

 

Dass dieser Erfahrungsweg im Christentum von Anfang an existierte, kommt ganz besonders im Thomasevangelium zum Vorschein, einer Schrift aus frühchristlicher Zeit, die aber  weit über tausend Jahre verschollen war und nach dem 2. Weltkrieg in Tonkrügen in einer Höhle bei Nag Hammadi gefunden wurde.

Dieses Evangelium enthält zur Hälfte Texte und Inhalte, die wir auch aus den anderen Evangelien kennen, aber nicht die Passionsgeschichte und auch keine Geschichten von Wunderheilungen. Es besteht aus 144 Logien, kurzen Texten, von denen es heißt, sie seinen Aussprüche von Jesus, dem Lebendigen.

Der Text beginnt so:

Dies sind die verborgenen Worte, die Jesus der Lebendige sprach, und es schrieb sie Didymos Judas Thomas

Und sagte: Wer die Bedeutung dieser Worte findet, wird den Tod nicht schmecken.

 

Von vorne herein ist also klar: es geht nicht um Gut und Böse,  krank oder gesund sein, um wissen oder nicht wissen, sondern es geht um Leben oder Tod.

 

Der Name des Schreibers Didymos Judas Thomas ist in mehrfacher Hinsicht bedeutsam, denn auf Deutsch übersetzt bedeuten sowohl Didymos als auch Thomas Zwilling. Das deutet darauf hin, dass sich der Schreiber nicht nur als Bruder Jesu versteht, sondern als ein Zwilling, was auf eine ganz besondere und intime Nähe, ja Gleichheit schließen lässt.

 

Die einzelnen Logien sind wie Koans, wie Rätselsprüche, die sich nur erschließen, wenn man auf eine erweiterte Bewusstseinsebene gelangt ist, gleichzeitig können sie der Weg dorthin sein.

 

Der folgende Spruch dürfte uns allen bekannt sein:

Die Jünger sprachen zu Jesus: Sage uns, wem das Reich der Himmel gleicht. Er sprach zu ihnen: Es gleicht einem Senfkorn, das kleiner ist als alle Samen. Wenn es aber fällt auf das Land, das man bebaut, sendet es heraus einen großen Sproß (und)  wird zum Schutz für die Vögel des Himmels. (20)

 

Er versucht seinen Schülern etwas Unerklärbares zu erklären mithilfe eines Beispiels aus der Natur, unter dem sie sich etwas vorstellen können. Einerseits leuchtet das Bild vom kleinen Senfkorn, das zum großen Baum wird, wenn es nur in der rechten Erde ist, sofort ein, andererseits ist der gesamte Vorgang des Wachsens  rätselhaft, denn er verläuft nicht linear. Im Samen ist zwar der Baum angelegt, aber wenn man das Senfkorn auseinanderpflückt, wird man keinen Minibaum finden.

In einer vermenschlichenden  Sprache  könnte man sagen: Das Senfkorn muss sich völlig der Auflösung in der Erde überlassen. Das Senfkorn enthält zwar den Baum als Möglichkeit, der Baum kann aber nur entstehen, wenn der Same ganz zu Nahrung wird. Er muss seine Natur aufgeben und in etwas Neues hineinsterben. Genauso wird der  Mensch in einen neuen energetischen Zustand, in einen neuen Bewusstseinsstand hineinsterben.

 

Bei dem Wort sterben denken wir in der Regel daran, dass etwas zu ende geht oder entschwindet, an dem wir hängen und das wir gerne auf immer gehabt hätten.  Es ist sicherlich richtig zu trauern und dankbar zurückzublicken. Aber für das Senfkorn heißt sterben, ein Hülle, eine Form lassen, die wichtig war, die aber, wenn sie weiter besteht, das Werden eines segensreichen Baumes verunmöglicht. Wenn das Senfkorn also Senfkorn bleiben will, bleibt es verschlossen. Es ist wie tot. Wenn es sich aber auflöst, wenn es stirbt, wird es lebendig.

(Rilke: Was sich ins Bleiben verschließt, schon ist´s das Erstarrte.)

Es ist tatsächlich so, dass wir immer wieder ins Unbekannte hinein sterben. Der

innere Weg ist die fruchtbare Erde, die es uns erlaubt ganz bewusst  ja zu sagen und vielleicht im Nachhinein zu verstehen.

Dem Vergangenen: Dank, dem Kommenden: Ja, werden wir dann wie Dag Hammarskjöld sagen können.

 

Was ist das Himmelreich? Das Reich, in das wir auferstehen werden, in dem wir lebendig sind, zu dem wir erwachen sollen.

Hier ein weiteres Gleichnis:

 

Jesus sprach: Das Reich des Vaters gleicht einer Frau, die einen Krug trägt, der voll Mehl ist, und die einen weiten Weg geht. Der Henkel des Kruges zerbrach; das Mehl strömte herab hinter ihr auf den Weg. Sie merkte es nicht; sie wusste nichts von ihrem Missgeschick. Als sie in ihr Haus gelangt war, stellte sie ihn auf den Boden. Sie fand ihn leer. (97)

 

Wir wollen uns auch diese Geschichte einmal etwas näher ansehen. Im Zentrum steht eine Frau, die anscheinend von weit her Mehl besorgt hat. Sie hat  sicherlich einige Strapazen auf sich genommen. Wo sie es besorgt hat und wieviel es kostete, erfahren wir nicht. Die Frau trägt dann das Mehl in einem Krug nach Hause. Sie trägt den Krug auf dem Kopf, wie es  in manchen orientalischen oder afrikanischen Ländern noch heute üblich ist. Die Frau scheint das Sinnbild einer umsichtigen, klugen und fleißigen Hausfrau zu sein, die auch weite Wege nicht scheut, um Mehl zu bekommen, dass dann,zuhause angekommen, sicherlich gleich weiterverarbeitet werden soll.

Jetzt ist der Krug aber irgendwie defekt – es heißt der Henkel sei gebrochen -, so dass das Mehl hinter ihr auf den Weg strömt ohne dass sie es merkt.

Es fällt ihr erst auf, als sie den Krug  zuhause abstellt und, dass er leer ist. Wie sie darauf reagiert, erfahren wir nicht. Denkbar wäre einerseits ein großes Klagen –der weite Weg, die ganz Mühe, alles umsonst. Oder auch Erleichterung – Gott sie Dank, jetzt brauch ich nicht zu backen. Wie würden wir reagieren?

 

Die Geschichte betont, dass der Frau ein Missgeschick passiert, denn der Sinn der Aktion ist ja, dass Mehl  ins Haus kommt. Gleichzeitig ist klar, dass diese Geschichte ein Happy End hat. Simone Weil hätte diese Geschichte sicherlich in ihr Tagebuch übertragen und dahinter geschrieben: Wunderbar!

 

Ich will den Blick einmal auf den Krug lenken. Der ist als Gefäß ganz wichtig und gleichzeitig scheint es auch wichtig zu sein, dass er einen mysteriösen Defekt hat, so dass er das, was er enthält, auch nach und nach verlieren kann – auf dem Weg nach Hause.

 

Als die Frau ankommt, bei sich ankommt, ist der Krug noch da, aber leer.

Lesen wir die Geschichte in Bezug auf unseren spirituellen Weg, dann eröffnen sich interessante Zusammenhänge.

Der Krug, das ist unser Ich, unsere Person. Dieses Ich ist angefüllt mit allen möglichen Vorstellungen über die Welt, über uns und natürlich auch über Gott oder über spirituelle Literatur oder spirituelle Übungen. Irgendwie sind wir zu einem schönen Krug geworden, der viel enthalten kann.

 

Literatur, Gebete, Vorstellungen sind wichtig. Vielleicht haben sie uns sogar dazu gebracht, den Weg der Kontemplation kennenzulernen. Wenn wir aber hier sitzen, dann geht es nur darum dazusitzen in Stille, die Inhalte, die unser Leben und unsere Gedanken füllen, kennenzulernen und ziehen zu lassen.

 

Wenn man sich dabei als „Ergebnis“ Leere vorstellt, dann ist das wahr und gleichzeitig auch nicht, weil unsere Vorstellung von Leere bestimmt ist durch die Alltagserfahrung und es mag beängstigend sein, sich selbst als den Ort einer solchen Leere vorzustellen.

Was wir gelassen haben, ist die Geschäftigkeit – nicht nur die Geschäftigkeit, die unser Tun bestimmt – sobald irgendeine Pause eintritt, meint man, man muss das Radio oder den Fernseher oder den Computer einschalten, schnell eine Message schreiben, etwas aus dem Keller holen. Das können wir hier nicht tun, wir sind also äußerlich ruhig gestellt. Das sagt aber noch nichts über die innere Geschäftigkeit, wie wir alle wissen. Unsere ganz einfache Übung ist nicht so leicht, weil wir so gerne beschäftigt sind – in „ Gedanken, Worten und Werken“.

 

Denken wir auch z.B. an Carlo Caretto, der sich entschieden hatte in einem Wüstenkloster zu leben und dazu fast alles zurückließ – aber doch einen Koffer voller Bücher mitnahm, weil er glaubte, dass darin seine Religion steckte. Er machte eine tiefe religiöse Erfahrung als er so schwer  körperlich arbeiten musste, dass er gar nicht mehr an seine theologischen Ideen denken konnte.

Er war so leer geworden, dass er endlich bereit war auf andersartige Weise gefüllt zu werden.

Manchmal geschieht das plötzlich, manchmal ist es aber auch so, dass genauso wie das Mehl nach und nach verschwindet sich etwas verändert. Und dass sich etwas verändert hat, merkt man erst, wenn man bei sich und damit auch bei Gott angekommen ist und eine große Freude  über die Leere verspürt, die sich eingestellt hat, und die so anders ist als erwartet.

 

 Das Senfkorn, das sich dem Wachstum überlässt und der Krug, der nach einem weiten Weg leer auf dem Boden des Hauses der Frau steht – beide Geschichten erstaunen, provozieren und erzählen davon, dass

 

Gott nicht liebt wie ich liebe sondern wie ein Smaragd grün ist.

 

Gertrud Kieserg