Januar

 

„ Er zog sich an einen einsamen Ort

zurück, um zu beten“                (Lk 5,16)

 

Gott liebt wie ein Smaragd grün ist.

 

Dieser Satz findet sich in den Tagebuchaufzeichnungen von Simone Weil, der französischen Vordenkerin und Mystikerin des letzten Jahrhunderts. Dort formuliert sie, als sie über die Liebe der Menschen und die Gottesliebe nachdenkt:

 

Gott liebt nicht wie ich liebe, sondern wie ein Smaragd grün ist. Er ist „Ich liebe“…Und auch ich, wenn ich im Zustand der Vollkommenheit wäre, würde lieben, wie ein Smaragd grün ist. Ich wäre eine unpersönliche Person. C4S. 116

 

Gott liebt  wie ein Smaragd grün ist.

 

Das ist schon eine ungewöhnlich formulierte Behauptung.  Als mich am Neujahrstag ein Bekannter bei einer Zufallsbegegnung im Wald fragte:  „Machen Sie denn in diesem Jahr auch wieder diese Kurse da?“ und  ich antwortete: „Ja, und in diesem Jahr werden sie unter der Überschrift stehen Gott liebt wie ein Smaragd grün ist.“, und seine spontane Reaktion war: „Was soll das denn heißen? Wer sagt denn so was? Das habe ich ja noch nie gehört“, da dachte ich: So eine Haltung braucht man, um sich der Ungeheuerlichkeit dieser Behauptung oder der ungewohnten Aussage zu nähern.

 

Gott liebt  wie ein Smaragd grün ist – was soll das denn heißen? So kann der Satz zum Koan werden, der uns durch das Jahr und auch über unsere Alltagsgedanken hinaus trägt; einem Koan, das uns in die Erfahrung der Wirklichkeit dieses Satzes führt.

 

So werden wir diesen Satz bedenken und umkreisen, aber wir werden ihn vor allen Dingen in unser Gebet der Stille nehmen, denn die Stille, in der das diskursive Denken ruht, birgt ihre eigene, verborgene Erkenntniskraft, wie auch Simone Weil weiß:

 

Wenn die Intelligenz, nachdem sie sich Schweigen geboten hat, um der Liebe allen Raum der Seele freizugeben, aufs Neue sich zu regen beginnt, so entdeckt sie, dass sie mehr Licht enthält als vorher, dass sie fähiger geworden ist, die Gegenstände, die Wahrheiten, die ihr eigentümlich sind, zu erfassen.

Mehr noch, ich glaube, diese Perioden des Schweigens stellen für die Seele eine Erziehung dar, der nichts anderes gleichkommt; sie erlauben ihr, Wahrheiten zu erfassen, die ihr sonst immer verborgen blieben.

Es gibt Wahrheiten, die ihr zugänglich sind, die sie erfassen kann, und die sich ihrem Zugriff doch erst ergeben, nachdem sie schweigend durch das Unbegreifliche hindurchgegangen ist. Ist es nicht das, was der heilige Johannes vom Kreuz meint, wenn er den Glauben eine Nacht nennt? aus: Entscheidung zur Distanz 48f (Betz S. 98)

 

Wer im Augenblick, da er an Gott denkt, nicht auf alles ohne Ausnahme verzichtet hat, gibt den Namen Gott einem seiner Götzen. C4 s. 201

 

Ein Weg, der in dieses Schweigen führt und in diese Einfältigkeit, ist für Simone Weil mit der Chiffre: der weiße Bär verbunden. Wir kennen das unter dem Begriff des weißen Elefanten. Wenn man erreichen möchte, dass jemand ununterbrochen und unausweichlich an einen weißen Elefanten denkt, muss man sagen: „ Du darfst auf gar keinen Fall an einen weißen Elefanten denken, unter keine Umständen.“  Das Resultat kann jeder bei sich selbst studieren. Sofort steht einem ein weißer Elefant vor Augen und wie sehr man sich auch ermahnt diesen Gedanken zu verscheuchen, er wird bleiben, ja sogar noch präsenter werden. Der weiße Elefant wird zur Obsession und diese Obsession kann man nutzen. Indem man die Gedanken auf nur ein Wort richtet, wird das rationale, grübelnde, kreisende Denken überstiegen durch Vereinfachung, durch Sammlung auf eine Sache.

 

Noch eine Weise, in der wir uns dem Mottosatz  nähern können, spiegelt sich in der folgenden Geschichte:

 

Ein harter großer Samurai ging einmal einen kleinen Mönch besuchen. „Mönch“, herrschte er ihn an, „lehre mich etwas über Himmel und Hölle!“.

Der Mönch sah zu dem mächtigen Krieger auf und sagte voller Verachtung:

„Warum sollte ich dich etwas lehren? Du bist schmutzig, du stinkst, deine Klinge ist rostig, du bist eine Schande für die Kaste der Samurais! Geh mir aus den Augen!“

Der Samurai war sprachlos vor Wut. Er zog sein Schwert, um den Mönch damit zu erschlagen.

„ Das ist die Hölle“, sagte der Mönch sanft.

Der Samurai begriff. Dankbarkeit und plötzlicher Frieden erfüllten ihn.

„Und das ist der Himmel“, sagte er Mönch.

( Kornfield, Geschichten des Herzens)

 

Wir gehen einen Weg der Erfahrung. Wir wollen zur Wirklichkeit vordringen, indem wir sie erfahren. Der Samurai unserer Geschichte ist groß, also ein mächtiger und angesehener Mann und doch glaubt er der Belehrung zu bedürfen. Er ist ein Suchender. Wie Dante in der göttlichen Komödie möchte er die Hintergründe des Lebens begreifen - Himmel und Hölle. Und, wie Dante durch die Hölle zum Himmel geführt wird, so erfährt der Samurai Belehrung indem ihm Erfahrungen ermöglicht werden. Erfahrungen von Hölle und Himmel und die Worte des Mönchs helfen dann nur noch die Erfahrung in Worte zu bringen. In der Begegnung und am vom Alltag entfernten Ort hat der Samurai die Freiheit, seine Reaktionen und Empfindungen zu verstehen Die Zen-Geschichten sind natürlich immer auch Verdichtung eines Prozesses, der sich über längere Zeit hinziehen kann.

 

Für Simone Weil ist immer mehr zur Erfahrungstatsache geworden, dass Gott nicht liebt, sondern Liebe ist in einem umfassenden und unbedingten Sinne – so, wie der Smaragd grün ist.

 

Während die menschliche Liebe an Bedingungen geknüpft ist, an Vorlieben und Ablehnung, während menschliche Liebe Unterschiede macht und auch in Hass umschlagen kann, ist das im Zustand der göttlichen Liebe nicht möglich. Ein Hineinwachsen in diese Liebesfähigkeit vergleicht sie mit dem Erlernen der Zeichen einer Liebessprache. Sie behauptet:

 

Alle Ereignisse des Lebens, ganz gleich welche, alle ohne Ausnahme sind durch Übereinkunft Zeichen der Liebe Gottes, auf die gleiche Weise, wie das Brot der Eucharistie Christi Fleisch ist.

Aber eine Übereinkunft mit Gott ist wirklicher als alle Wirklichkeit.

Gott legt mit seinen Freunden durch Übereinkunft eine Sprache fest. Jedes Ereignis des Lebens ist ein Wort dieser Sprache. Alle diese Worte sind synonym, aber wie es in den schönen Sprachen vorkommt, hat jedes seine ganz eigentümliche Nuance, ist jedes unübersetzbar. Der Sinn, den alle diese Worte gemeinsam haben, ist: ich liebe dich.

Er trinkt ein Gas Wasser. Das Wasser ist das „ich liebe dich“ Gottes. Er bleibt zwei Tage in der Wüste, ohne irgendetwas zum Trinken zu finden. Die Trockenheit der Kehle ist das „ich liebe dich“ Gottes. Gott ist wie eine aufdringliche Frau, die sich an ihren Geliebten klammert und ihm stundenlang, ohne Unterbrechung ins Ohr flüstert: „Ich liebe dich…ich liebe dich…ich liebe dich…“

Anfänger in dieser Sprache glauben, dass nur einige dieser Worte „ich liebe dich“ bedeuten.

Die die Sprache kennen, wissen, dass es nur eine Bedeutung in ihr gibt.C4 S. 115

 

Rumi berichtet von der liebeskranken Zulaicha und legt ihr die folgenden Verse in den Mund. Immer wieder taucht der Name Josef auf, aber Josef ist nicht ein Mann. Sie meint damit Gott.

 

Zulaicha, sieh, gab allem – von der Raute

Bis hin zur Aloe den Namen Josef;

In allen Namen barg sie seinen Namen –

Nur den Vertrauten tat sie dieses kund.

Und wenn sie sprach: „Das Wachs ward weich vom Feuer.“

So meinte sie: „Der Freund war lieb zu mir.“

Und wenn sie sprach: „Schaut, wie der Mond dort aufgeht!“

Und wenn sie sprach: „Grün ward der Weidenzweig!“

Und wenn sie sprach: „Wie doch die Blätter zittern!“

Und wenn sie sprach: „Wie schön die Raute brennt!“

Und wenn sie sprach: „Mit Rosen sprach der Gärtner.“

Und wenn sie sprach: „Klopf mir den Teppich aus!“

Und wenn sie sprach: „Der Träger brachte Wasser.“

Und wenn sie sprach: „Die Sonne, seht, ging auf!“

Und wenn sie sprach: „Sie kochten gestern Speise.“

Und wenn sie sprach: „Gemüse ist jetzt gar!“

Und wenn sie sprach: „Es fehlt dem Brot an Salz!“

Und wenn sie sprach: „Mir tut der Kopf so weh jetzt!“

Und wenn sie sprach: „Mein Kopfweh ist vorbei!“

Und wenn sie hunderttausend Namen häufte,

sie meinte Josef, wollte Josef nur.

(Flöte des Unendlichen S. 99)

 

Wenn unser Satz behauptet:

Gott liebt wie ein Smaragd grün ist. Dann soll das bedeuten: Dieses Lieben ist ohne Bedingung und es schließt alles ein. Gott ist Liebe. Und die Anweisungen aus dem berühmten Zengedicht Shinjin Mei wollen dazu anleiten, die rechte Geisteshaltung für diese Erfahrung vorzubereiten.

 

Der höchste Weg ist nicht schwer,

wenn du nur aufhörst zu wählen.

Wo weder Liebe noch Hass,

ist alles offen und klar.

Aber die kleinste Unterscheidung

Bringt eine Distanz wie zwischen Himmel und Erde.

Soll Es sich dir offenbaren,

lass Abneigung wie Vorliebe beiseite.

Der Konflikt zwischen Neigung und Abneigung

Ist eine Krankheit des Geistes.

Wird diese tiefe Wahrheit nicht verstanden,

versuchst du vergeblich deine Gedanken zu beruhigen. (FdU S. 70)

 

Gertrud Kieserg, Siegburg 11.01.2014