Die Wüste der Einsamkeit in einen Garten der Stille wandeln.

 

„Die Wüste und das trockene Land sollen sich

 

 freuen, die Steppe soll jubeln und blühen.“

 

 Jes 35,1

 

 

Ein ganzes Jahr lang hat uns dieser Vers von Henry Nouwen inspiriert und begleitet. Jetzt schließt sich der Kreis. Die Wüste und der Garten – das sind sehr eindrückliche Bilder für innere Zustände. Die Wüste einerseits als Ort der Trostlosigkeit und Verlorenheit, aber auch als der Ort, der bewusst aufgesucht wird, um ohne Ablenkung der eigenen Tiefe auf die Spur zu kommen. Die Bilder sind uralt und gerade die biblischen Texte der Adventszeit beziehen ihre Kraft aus diesen Bildern:

 

Aus Gestein und Wüstensand

werden frische Wasser fließen;

Quellen tränken dürres Land,

überreich die Saaten sprießen.

Allen Menschen wird zuteil Gottes Heil.

 

singen wir z.B. in einem bekannten Adventslied. Hier wird auch deutlich, dass Wüste und Garten nicht zwei verschiedene Orte sind, sondern dass sich der Wüstenort in einen Garten, in blühendes Leben verwandeln wird. Vielleicht gerade dadurch, dass die Wüste bewusst angenommen und die Mahnung, die Angelus Silesius so eingängig formuliert hat, ernst genommen wurde:

 

Halt an, wo läufst du hin?

Der Himmel ist in dir.

Suchst du Gott anderswo,

du fehlst ihn für und für.

 

Wird Christus tausendmal

Zu Bethlehem gebor´n

und nicht in dir, du bleibst

noch ewiglich verlor´ n.

 

Was uns verheißen ist, was uns zugesagt ist, ist die Geburt der Freude, die Geburt des Heilseins. Wenn etwas heil ist, dann ist es ganz, komplett, vollkommen. Diese Geburt ist ein Geschenk. Man kann sich diese Art der Freude und des Heilseins nicht verschaffen. Sie ist der Gast, der sich einstellt, wenn wir bereit sind und bereiten kann man sich. Wir tun das hier dadurch, dass wir einfach gesammelt sitzen, dass wir uns der Geistesgegenwart überlassen, dass wir die Hindernisse merken, die uns von der Präsenz fernhalten. In einem verhärteten Herz, in einem Herz aus Eile ist gar kein Raum, kein Zeitraum für Trost und Freude bringende Gäste.

 

In der folgenden Geschichte ist auch eine mögliche Weise der Bereitung beschrieben:

 

Es war einmal ein sehr alter und weiser Graf, der im Alter so ein freudestrahlendes und tiefes Lächeln hatte, wie es nur alte Leute haben können. Als er nach dem Geheimnis seines Lebens gefragt wurde, erzählte er Folgendes: Es sei seit seiner Jugendzeit nie aus dem Haus gegangen, ohne seine linke Jackentasche mit Bohnen zu füllen. Jedes Mal, wenn ihm etwas begegnet sei, was ihn zutiefst erfreut habe, hätte er eine Bohne von der linken in die rechte Jackentasche getan. Abends, wenn er zuhause war leerte er dann die rechte Jackentasche und erinnerte sich noch einmal bewusst an die Freudensituationen, die er tagsüber erfahren hatte und war von Dankbarkeit erfüllt. Auch wenn er nur eine einzige Bohne von einer Tasche in die andere gefüllt hatte, fand er, dass gerade sie den Tag gerettet hatte. Eine unverhoffte Begegnung, ein Blatt, die Wiederentdeckung des Wortes: Zuversicht.

 

Das ist eine wunderbare Methode nicht nur den Blick zu schärfen für das, was mich nährt, sondern diese Art Nahrung führt zu Wandlung und Weitung. Es geht nicht darum, leidvolle Situationen zu übertünchen und einem kritiklosen Optimismus das Wort zu reden, sondern es geht darum die Perspektive zu erweitern. In der Wochenzeitung Die Zeit gibt es auf der letzten Seite eine Rubrik: Was mein Leben reicher macht. Die erfüllt eine ähnliche Funktion. Die Zuschriften erzählen nicht von bombastischen Erfahrungen, von großen Reisen oder Feiern oder Häusern. Sie erzählen von dem Moment, der den Alltag bereichert hat – dem Wort eines Enkels, einer wiederentdeckten Karte, dem Blick auf ein Ruhe schenkendes Bild.

 

Ich durfte einmal an einer Übung teilnehmen, wo ganz bewusst die Wahrnehmung geschult wurde, dadurch, dass man zuerst einmal einfach so den Raum mit allen Menschen betrachtete. Dann sollte man den Blick auf etwas Großes, dann etwas Kleines, dann auf etwas Buntes, auf etwas Schwarzes, auf etwas Helles, etwas Dunkles, etwas Langes, etwas Kurzes, etwas Sauberes, etwas Schmutziges lenken. Wir taten das in einer sehr gesammelten Stimmung und es war sehr beeindruckend, wie sich nach dieser Übung die Wahrnehmung des gesamten Raumes verändert hatte. Er wirkte jetzt ganz anders gefüllt.

 

Manchmal muss der Blick mit vereinten Kräften freigelegt werden:

Eines Tages traf ein Pilger auf seinem Weg auf einen Mann, der auf einer Wiese saß und wie ein Mönch aussah. In der Nähe arbeiteten Männer an einem Gebäude aus Stein. „Sie sehen wie ein Mönch aus“, sagte der Pilger. „Das bin ich auch,“ sagte der Mönch. „Und wer sind die, die an der Abtei arbeiten?“ „Meine Mönche“, sagte der Mann. „Ich bin der Abt“. „Oh, das ist wunderbar“, sagte der Pilger. „Es tut gut zu sehen, dass ein Kloster gebaut wird.“ „wir reißen es ab“, sagte der Abt. „Reißen es ab?“ rief der Pilger. „Warum denn das? „ „Damit wir im Morgengrauen den Sonnenaufgang sehen können“, sagte der Abt.

 

Im Garten wachsen nicht nur Unkraut und Dornen, wie manch einer auf dem Weg der Kontemplation manchmal meint, wenn der Blick allzu sehr auf Unkraut fixiert ist und die Schönheit des Gartens fast aus den Augen verloren wird. Der Garten der Seele verlangt je nach Jahreszeit unterschiedliche Pflege. Manchmal ist es wichtig Unkraut zu zupfen oder auszugraben, manchmal ist es Zeit Abgestorbenes zu entfernen, manchmal kann man gar nichts machen, außer den Garten ruhen zu lassen und manchmal ist die Zeit, sich einfach am Garten zu erfreuen.

 

Was es mit der Wandlung von der Wüste zum Garten auf sich hat, das wird uns in diesen Tagen auch noch einmal in der Erinnerung an das Leben von Nelson Mandela vor Augen geführt. Er verbrachte 27 Jahre im Gefängnis, in der Wüste, könnte m an auch sagen. Manch einer wäre sicher verbittert, aber alle , die ihn persönlich gekannt haben bezeugen, dass er durch diese Zeit in der Wüste der grausamen Gefangenschaft gewandelt wurde vom zornigen Freiheitskämpfer zum versöhnenden Freiheitsbringer, der von innen her glaubwürdig die Freude der inneren Freiheit ausstrahlen konnte. Er erkannte, dass die Wärter auf ähnliche Weise gefangen waren wie die eigentlichen Gefangenen und dass Befreiung nur gemeinsam geht und nicht aus Bitterkeit geboren werden kann. So wie er Den Langen Weg zur Freiheit für sich und die Menschen in Südafrika ging, so sind auch wir auf dem Weg in ein neues Land, dem Land der Freiheit der Seele, in der uns nichts mehr von der Verbundenheit mit allem Lebendigen trennt.

Wir denken in Gegensätzen: hier Wüste, dort Garten, aber wer im Garten ankommt, sieht, dass die Wüstenzeit zum Garten dazugehört. Und dass sich das Leben in allen Teilen offenbart.

 

Freude, das ist nicht nur lautes Lachen, Kichern und Johlen, Freude, das ist auch die Freude der Erkenntnis. So heißt es z.B. in einer Geschichte über Antonios, einen der ersten Wüstenväter, dass er einmal in ganz verdrießlicher Stimmung in der Wüste saß und so von Gedanken bedrängt war, dass er nicht in die Geistesgegenwart kommen konnte. Er sprach zu Gott: „Was soll ich in dieser Bedrängnis tun? Wie kann ich heil werden?“ Dann ging er nach draußen und sah dort jemanden, der so aussah wie er und der arbeitete und dann stand er auf und betete und dann arbeitete er weiter und flocht an seinem Seil, dann betete er wieder. Dann hörte er denjenigen sprechen: „Mach es so und du wirst das Heil erlangen.“ Also: gib deinem Tag einen Rhythmus und pflege die Arbeit mit deinen Händen. Dann heißt es als Abschluss weiter: Als er das hörte, wurde er von großer Freude und mit Mut erfüllt und durch solches Tun fand er Rettung.

 

Nach der Bedeutung von Freude gefragt, sagte Willigis Jäger einmal: Für ihn sei Freude gewesen, eine Deutung für sein Leben zu finden und Freude sei da so etwas wie Heilsein. Er deutet sein Leben als einen Tanzschritt Gottes, aber auch als Tänzer und Tanz.   Und wenn es ihm nicht gut geht, sagt er: „Gott will mich jetzt so. Das sind jetzt der Tanz und der Tanzschritt.“

 

Das ist dann die Freude, für die man keine Ursache ausmachen kann und die einfach da ist als ein Lebenselixier. Die Freude im Sein.

 

Manche, die auf den Weg der Kontemplation sind, halten sich für unbegabt und unzulänglich, weil eine erwartete Glückseligkeit sich nicht einstellt oder die versprochene Freude ausbleibt.

 

Es gilt zu vertrauen und sich zu überlassen und was nun eigentlich Freude im Sein ist, wird sich im Laufe des Weges erschließen, im Laufe des Weges, in dem mein Sehen und mein Erfahren immer mehr gewandelt werden.

Was bleibt ist eines: Aufwachen – Wachsein für die hintergründige Wirklichkeit:

Dann können wir wirklich von Herzen singen:

Kein Aug hat je gespürt

Kein Ohr hat je gehört solche Freude.

Des jauchzen wir und singen dir…

Dazu gehört auch die Mahnung von Carlo Caretto, einem Wüstenmönch unserer Tage:

Wenn du nicht in die Wüste gehen kannst, musst du dennoch in deinem Leben „Wüste machen“. Bring ein wenig Wüste in dein Leben, verlass von Zeit zu Zeit die Menschen, suche die Einsamkeit, um im Schweigen und anhaltenden Gebet deine Seele zu erneuern! Das ist unentbehrlich. Das bedeutet „Wüste“ in deinem geistlichen Leben.

Eine Stunde am Tag, einen Tag im Monat, acht Tage im Jahr, um dich allein mit Gott zurückzuziehen. Wenn du das nicht suchst, wenn du das nicht liebst, mach dir keine Illusionen. Anders wirst du nie zum kontemplativen Gebet kommen. Denn nicht allein sein wollen – obwohl man es könnte-, um die innige Nähe Gottes zu kosten, ist ein Zeichen, dass es an dem Grundelement der Beziehung zum allmächtigen Gott fehlt: an der Liebe. Ohne Liebe aber ist keine Offenbarung möglich.

Aber die Wüste ist nicht der endgültige Ort. Sie ist eine Zwischenstation. Denn unsere Berufung ist, wie ich dir sage, die Kontemplation auf den Straßen. Nach der Pause der Wüste müssen wir von neuem den Weg weitergehen.

Man könnte auch sagen: Der Garten der Stille ist ohne die Wüste der Einsamkeit nicht zu haben.

 

Gertrud Kieserg